Bäche und Überschwemmungen
Verfasst von Martin Lee
Ueberschwemmungen entlang des Abist- und Mederbaches riefen nach einem Ausbau der beiden Bäche, um die angrenzenden Bewohner vor neuen Schäden zu schützen. Auf Grund eines Generellen Bachprojektes, das auch Rücksicht auf das Orts- und Landschaftsbild zu nehmen hatte, wurden in den letzten Jahren mehrere Bachstrecken nach neusten Erkenntnissen ausgebaut. Nebst dem Hauptgrund, Hab und Gut der Einwohner besser zu schützen, galt es aber auch, wieder sinnvolle Lebensräume für eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt zu schaffen. Die Natur liess die entstandenen Bauwunden rasch verheilen und bald schon konnte festgestellt werden, dass die hochgesteckten Ziele erreicht wurden. Eine erfreuliche Pflanzenvielfalt entlang des Ufersaumes gibt den noch jungen, im hiesigen Wasser gelaichten Bachforellen bereits Schutz vor natürlichen Feinden.
Bachforellen laichen nur in durchlässiger, kiesiger Sohle. Sie legen ihre Eier in tiefe Gruben, die sie selbst mit ihrer Schwanzflosse herausschlagen. Im Kiesbett entwickeln sich dann die Forelleneier. Nach dem Ausschlüpfen halten sich die Dottersackforellen noch sechs bis zehn Wochen tief unten im Kiesbett auf, bevor sie es als Jungfische verlassen. Die Bachforelle ernährt sich vorwiegend von wirbellosen Wassertieren wie Insektenlarven, Würmern, Egeln usw., welche in der kiesigsandigen Bachsohle leben. Die wirbellosen Wassertiere ernähren sich ihrerseits von anderen Wirbellosen oder von Blättern und anderen organischen Stoffen, die sie im fliessenden Wasser vorfinden.
Das Fressen und Gefressenwerden bezeichnet man als Nahrungskette. Dieser Vorgang bewirkt die Selbstreinigung des Wassers. Die Bachforelle gehört zu den empfindlichsten Wassertieren. Sie kann daher als unbestechlicher Gradmesser bezeichnet werden. Lebt sie, so dürfen wir annehmen, dass sowohl die Wasserqualität als auch die im Wasser lebende Organismenwelt der Nahrungskette noch in Ordnung ist.
Eher ein Schaudern löst bei manchen Personen das Wissen um Krebse in unseren Bächen aus. Aeusserst vielfältig und fast unüberschaubar ist die Welt der Kleinkrebse. Muschelkrebse, Flohkrebse, Fischläuse, Rankenfüsser, Wurzelkrebse, alle diese Arten sind wichtige Futtertiere für Fische. Aber für uns alle viel eindrücklicher sind die richtigen grossen Zehnfusskrebse, die im sauberen Wasser auf Beute lauern. Diese scherentragenden Gesellen bevorzugen sauberes, sauerstoffreiches Wasser. Tagsüber führen sie ein zurückgezogenes Leben unter überhängenden Böschungen und in Uferhöhlen. Erst nachts gehen sie auf Nahrungssuche. Auf dem reichhaltigen Speisezettel stehen vor allem Muscheln, Schnecken, Wasserinsekten, Würmer und Kaulquappen. Hin und wieder erwischen sie auch ein kleines Fischchen. Aber weil sie vor allem kranke oder geschwächte Tiere fressen, wirken sie sich positiv auf den Gesundheitszustand der Wassertiere aus. Zudem verschmähen sie auch Pflanzenteile nicht und können so die Verkrautung überdüngter Gewässer wirksam bremsen.
Der Mederbach
Während einiger Jahrhunderte speiste der Oerlinger Weiher, der grösste See des ganzen Gebietes, den Mederbach. Im Laufe der Zeit wurde der Weiher kleiner, einmal durch Ablagerungen des Trüllikerbaches, anderseits durch Verlandung und Bildung von Torf. Schon im 15. Jahrhundert war der See teilweise zum Riet geworden und stand im Eigentum der Abtei Rheinau. Erst 1824 ging der Weiher in das Eigentum der Zivilgemeinde Oerlingen über. Entleerungen des Weihers führten regelmässig zu Einsprachen der Gemeinde Marthalen und den dort ansässigen Müllern wegen Beschränkung der Wasserrechte des Mederbaches. Im richterlichen Urteil vom 8. Februar 1866 wurden die Rechte und Pflichten der Weiherbesitzerin und der Mühleneigentümer von Marthalen abschliessend geregelt.
Im Jahre 1926 begann man mit der Entwässerung des Weihers und der benachbarten Fluren, insgesamt ein Gebiet von 50 Hektaren. Im folgenden Jahr wurde auch die Verbesserung des Mederbaches zwischen Oerlingen und Obermühle Marthalen in Angriff genommen. Der neue Bach hatte nun ein Einzugsgebiet von etwa 14 Quadratkilometern und nahm das Abwasser des nahen Hausersees und die Bäche aus dem Rudolfinger und Trülliker Riet auf und bildete von nun an das Hauptgewässer des Tales zwischen Truttikon und Marthalen. An den entstandenen Gesamtkosten von damals 110'000 Franken hatte sich die Gemeinde Marthalen mit zehn Prozent zu beteiligen.
Der Abistbach
Die verschiedenen Quellen des Abistbaches führen uns nach Benken, Wildensbuch und Rudolfingen. Der Bach, wie er von den Einwohnern von Benken genannt wird, entspringt am Kohlfirst, in den Gebieten Totenbrunnen und Schluecht, vereinigt sich oberhalb von Benken im Gebiet Bachwis und fliesst dann an der Mühle vorbei durch das Dorf hinab Richtung Marthalen. Seit dem Jahre 1897 ist der Bach in seinem Lauf durch das Dorf Benken eingedeckt und kommt erst am Dorfausgang wieder ans Tageslicht.
Der Iesbach kommt von Wildensbuch her, durchfliesst in einem tiefen Einschnitt das Hünerenhölzli, wird dann eine kurze Strecke Lätschbach genannt, unterquert die Strasse nach Rudolfingen und die alte Landstrasse und mündet unterhalb des Rietes in den oben erwähnten Dorfbach.
Der äussere Iesbach entspringt im Rudolfinger Bann, erreicht mit der Unterquerung der Rudolfingerstrasse den Benkener Bann, fliesst zum südöstlichen Teil des Rietes und vereinigt sich im untern Riet mit dem Iesbach.
Bald schon erreicht das nun Rietbach genannte Gewässer das Gebiet der Gemeinde Marthalen, umfliesst den bekannten Eichenwald im Abist und trägt fortan den Namen Abistbach. Vor dem Oeliweiher trennt sich der Bach. Während ein Teil des Wassers durch den Weiher fliesst, schlängelt sich das restliche Wasser in einem romantischen Lauf darum herum und bei der Oeli treffen sich die beiden Wasserläufe wieder und fliessen am Rand des alten Dorfkerns dem Kellerwinkel zu, um sich dort mit dem Mederbach zu vereinen. Während früher ein Teil des Wassers über den Mühlekanal dem Wasserrad in der unteren Mühle zugeleitet wurde, strömen nun seit einigen Jahrzehnten die beiden Wasser im jugendlichen Uebermut als Wildbach nach Nidermartel und erreichen dort ihr Ziel, die Niderwiesen bzw. Wässerwiesen.
Die Wässerwiesen
Während heute das Auge in der weiten Ebene der Niderwiesen Aecker, Wiesen, Gruben sowie Anlagen zur Kiesverarbeitung erblickt, war noch bis vor wenige Jahrzehnte hier einzig Wiesland anzutreffen. Doch wer genauer hinsah, merkte bald, dass es keine gewöhnlichen Wiesen waren, gab es doch überall Längs- und Quergräben, also ein eigentliches Kanalsystem.
Wann und durch wen die Bewässerungsgräben erstellt wurden, lässt sich aus den Chroniken nicht feststellen. Da jedoch bis 1754 das Kloster Rheinau die Grundherrschaft über das Dorf Marthalen ausübte, ist es denkbar, dass die Rheinauer Mönche in irgend einer Form mitgewirkt haben. Als sicher kann auch angenommen werden, dass die Bewässerung über mehrere Jahrhunderte stattgefunden hat. Bereits in der Grossen Landtafel des Zürcher Gebiets 1667 von Hans Conrad Gyger ist ein breit verzweigtes Bewässerungssystem eingetragen.
Während Jahrtausenden hat der Bach Sommer und Winter diese Kiesböden bewässert, wertvolle Schwebestoffe herangeführt und eine fruchtbare Humusdecke geschaffen. So konnten die Mattenbesitzer selbst bei Trockenheit ertragsreiche Ernten einfahren. Für die Berechtigten bestand eine genaue Kehrordnung, die strengstens einzuhalten war. Sie schrieb vor, wer wann und wie lange das Wasser über die Haupt- und Nebengräben zu seinem Grundstück leiten durfte. Während tagsüber das Recht meist nur für 2 bis 3 Stunden galt, durfte nachts das Wasser meist ab 21 Uhr bis um 5 oder 6 Uhr des anderen Morgen auf die Wiesen geleitet werden.
Die Trockenlegung des Oerlinger und Benkener Rietes Ende der Zwanzigerjahre führte bei den beiden Dorfbächen zu einer spürbaren Abnahme der Wassermenge und traf die Wässerwiesen-Besitzer hart. Oft verschwand nun die spärliche Wassermenge nur zu schnell im kiesigen Untergrund und konnte nicht mehr zu etwas abseits gelegenen Grundstücken geleitet werden.
Neue Probleme anderer Art entstanden Mitte dieses Jahrhunderts. Immer mehr Ueberläufe von Klärgruben führten in den Bach, die Verschmutzung des Gewässers nahm zu, mehr Oberflächenwasser wurde eingeleitet und plötzlich stand das Holz im Armenfeld als Folge der Verkrustung und Verfilzung des Bodens unter Wasser, ein neuer See war geboren. Was während Jahrtausenden problemlos funktionierte, stellte nun die Menschen vor Rätsel. Wohin soll dieser plötzliche See abgeleitet werden? Was kann getan werden, um grössere Schäden am Holz zu vermeiden? Schliesslich bewilligte der Kantonsrat 1956 einen Kredit von 200'000 Franken für einen 3 km langen Kanal zur Thur, und bereits im nächsten Jahr konnte das Projekt realisiert und der See abgeleitet werden.