Landwirtschaft
Verfasst von Martin Lee
Landwirtschaft
Die Einwanderung der Alemannen führte zu vielen Hof- und Ortsbenennungen nach Personennamen, was die ums Jahr 700 beginnenden Urkunden über Landschenkungen bezeugen. Nebst der Zuteilung von Land zur privaten Nutzung erhielten sich über die Jahrhunderte auch noch Reste des älteren Zustandes der Gütergemeinschaft. So wurde stets ein nach der Zahl der Besitzer bemessener Anteil Weideland und Wald unverteilt als gemeinsames Gut, Allmend genannt, belassen. Aus dem gemeinschaftlichen Wald konnte sich jeder Zugehörige mit Brenn- und Bauholz versorgen, und auf der Allmendwiese weidete vom Frühling bis zum Herbst das Vieh des Dorfes unter einem von der Gemeinschaft jährlich gewählten Kuh- und einem Schweinehirten. Diese Allmendwirtschaft blieb unseren Vorfahren bis ins 19. Jahrhundert erhalten.
Die Alemannen trieben Jagd, Viehzucht und Ackerbau. Im Laufe des Mittelalters entwickelte sich eine Art von Landwirtschaft, die uns als Dreizelgenwirtschaft bekannt ist. Die intensiv genutzte Fläche einer Siedlung wurde in drei etwa gleich grosse Stücke (Zelgen) aufgeteilt. Der Boden jedes Hofes war gleichmässig auf die drei Zelgen verteilt. Für deren Bewirtschaftung herrschte ein strenger Flurzwang. Die eine Zelg trug Winterfrucht ("Korn" und Roggen), die andere Sommerfrucht (Hafer und Gerste), die dritte lag brach und diente als Viehweide. Umbruch, Aussaat und Ernte erfolgten in jeder Zelg gleichzeitig und für alle, denn Flurwege zu den einzelnen Grundstücken gab es kaum; mancher konnte nur über den Boden des Nachbarn zu seinem eigenen gelangen. In unmittelbarer Nähe der Siedlung lagen die "Pünten", Pflanzland für Gemüse, Hanf, Flachs und Obst. Qualitativ wertvolle Böden wurden häufig als Wiesen genutzt. Wenig ertragreiches oder abgelegenes Land und sämtlicher Wald unterstanden als Allmend gemeinsamer Nutzung: Weidgang, Laub-, Bau- und Brennholz. Dieser gemeinsamen Bewirtschaftung unterzogen wurde natürlich auch der damals sehr ausgedehnte Weinbau. Das Schliessen der Rebberge und die gemeinsame Weinlese sind die letzten Reste jener mittelalterlichen Bewirtschaftungsform, die sich bis zum heutigen Tag erhalten haben. Diese Art der Bodenbewirtschaftung ernährte natürlich nur eine beschränkte Anzahl Menschen. Nahm die Bevölkerung stark zu, war eine Auswanderung (z.B. fremde Kriegsdienste) nicht zu umgehen. Fehljahre bedeuteten bitteren Hunger, denn Ausweichmöglichkeiten (Kartoffelanbau) kannte man nicht und Getreidezufuhren grösseren Ausmasses waren unmöglich.
Ueber Jahrhunderte war der Anbau von Flachs und Hanf für die Bevölkerung von grosser Bedeutung, da sie daraus ihre Kleider fertigte. Die Frauen spannen im Winter die Fäden, entweder einzeln zu Hause oder mit andern zusammen in "Spinnstuben", und die Weber verarbeiteten das Gespinst zu Stoff. Die Samen von Flachs und Mohn galten ebenfalls als wertvoll und wurden in der einheimischen Oeltrotte zu Oel verarbeitet.
Ein wichtiger Erwerbszweig der Bauern war einst der Weinbau, brachte er doch Geld und Ansehen sowie über die Gemeinde hinaus Kontakt zu anderen Bevölkerungsschichten. Dies wirkte sich auf den Ertrag der Aecker und Wiesen ungünstig aus, da der Dünger fast ausschliesslich für die Reben verwendet wurde. Die geringen Erträge der Aecker und der Mangel an Futter für das Vieh bildeten denn auch früher die Hauptklagen der Bauern. Um die Erträge zu steigern, haben unsere Vorfahren die damals einzige Möglichkeit ausgeschöpft und in Niedermarthalen die Wässerwiesen angelegt. Auffallend gross war die Anzahl Stiere, die gehalten wurden. So sind nach einer Zählung aus dem Jahre 1771 122 Stiere sowie 123 Kühe in den einheimischen Ställen vorgefunden worden. Die Stiere wurden damals als Zugtiere für den Ackerbau benötigt und standen wesentlich höher in der Gunst der Leute als die bescheidene Zahl von 14 gemeldeten Pferden.
Unter den zürcherischen Gebieten nimmt das Weinland heute noch durch seinen ausgesprochen bäuerlichen Charakter eine besondere Stellung ein. Es gehört zu den Gegenden, die nicht einseitige Bodenkultur betreiben, in denen Acker- und Rebbau sowie Graswirtschaft vorkommen. Das Gebiet zwischen Thur und Rhein gehört zum fruchtbarsten Land im Kanton. Die schöne Landschaft birgt in ihrem Wechsel von hügeligem und flachem Gelände, im milden Klima und den auffallend geringen Niederschlägen, die für Marthalen im Durchschnitt etwa 860 Millimeter betragen, die günstigen Bedingungen für verschiedenartige Betriebe.
Auch wenn die heutige Landwirtschaft sich bezüglich Leistungsfähigkeit und Fruchtfolge deutlich von den Vorfahren absetzt, ist sie mit 38 Betrieben weiterhin ein tragendes Element unseres Dorfes. Rund 750 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, wovon 585 ha offenes Ackerland, werden jährlich bearbeitet.
Nachdem mit der Güterzusammenlegung praktisch alle Reben innerhalb der Gemeinde verschwunden sind, kann nun die Bevölkerung dank Neuanpflanzungen von etwas über zwei Hektaren seit einigen Jahren wieder einheimischen Wein trinken.
Gewerbe
Marthalen war im Laufe des 17. Jahrhunderts recht volkreich geworden. Die Wirtschaft hatte sich gut entwickelt und dem vorherrschenden Bauerntum stellte sich ländliches Handwerk zur Seite. Man fühlte sich nicht ganz zu unrecht als Mittelpunkt des Aeusseren Amtes. Die Handwerker hatten sich den Zürcher Zunftgebräuchen und -ordnungen zu unterwerfen.
Mit eifersüchtiger Wachsamkeit beobachteten die städtischen Zünfte die Geschehnisse auf dem Lande und griffen sofort ein, wenn sie ihre Ordnung in Gefahr sahen. Während den Einwohnern die Errichtung einer Metzg vom Kyburger Landvogt im Jahre 1663 noch ohne grösseren Aufhebens bewilligt wurde, löste die Ernennung der Gemeinde Marthalen zu einem Marktflecken von Anfang 1725 einige Monate später eine Beschwerde der Zürcher Rotgerber aus. Dank dem obrigkeitlichen Entscheid durfte das Dorf seinen Jahrmarkt behalten, der künftig regelmässig am 1. Mai abgehalten wurde.
Weder der Fall der Zunftordnungen mit der Einführung der Gewerbefreiheit noch der Bau der Eisenbahn oder die neuen Strassen lösten innerhalb der Gemeinde eine Industrialisierung aus. Kurz vor dem Bahnbau hatte der einheimische Johannes Toggenburger im Jahre 1843 die Pferdehaarspinnerei gegründet. Beinahe zwanzig Jahre später, im September 1860, nahm nördlich der Bahnstation, auf dem heutigen Areal des VOLG, die angeblich erste schweizerische Düngerfabrik der beiden Schaffhauser Brüder Albert und Franz Helenus van Vloten ihren Betrieb auf. Das Unternehmen wurde im Jahre 1895 durch die Chemische Fabrik Schweizerhall in Basel käuflich erworben, zum Teil vergrössert und als Filiale weitergeführt. Zu Beginn des Jahres 1920 begann Hans Pletscher bei der Station mit der Herstellung eines eigenen patentierten Veloartikels und Pioniercharakter entwickelte auch die Landwirtschaftliche Genossenschaft Marthalen, die 1955 als erste in der Ostschweiz eine Gemeinschaftsgefrieranlage erstellen liess. In den letzten Jahrzehnten haben sich vor allem nördlich der Bahnlinie zahlreiche kleinere und grössere Betriebe angesiedelt, die das bisher meist traditionelle Gewerbe ergänzten.