Einzelne Gebäude, Unterer Hirschen
Verfasst von Martin Lee
Jedes Haus hat seine eigene Geschichte, gibt Auskunft über die Bewohner, über seine Entstehung oder frühere Nutzung. An dieser Stelle wollen wir uns auf einige wenige Häuser beschränken und auf die wichtigsten Aspekte hinweisen.
Unterer Hirschen
An markanter Stelle, Eleganz und Vornehmlichkeit ausstrahlend, steht die Liegenschaft zum Hirschen. Das Gebäude wurde 1715 von Untervogt Hans Jacob Wipf und Barbara T(D)oggenburger erbaut. Der repräsentative Fachwerkbau, erstellt im ländlichen Barock, lässt erahnen, dass die Erbauer nicht zu den armen Einwohnern gehörten. Die zweiseitige Aussentreppe, der hohe Kellerstock und die grosse Kelleranlage weisen darauf hin, dass hier der Weinbau im Vordergrund stand. Die erst 1793 erstellten zugehörigen Oekonomieteile, heute Ortsmuseum, sind hinter dem Hauptbau plaziert und von der Strasse her praktisch nicht einsehbar.
Einer der hervorstechendsten Bewohner war Hans Georg Wipf, bekannt als Major Wipf. Er lebte von 1760 bis 1836 und muss ein hitziger und despotischer Haudegen gewesen sein. Als im Jahre 1795 die "gnädigen Herren" in Zürich die Truppen der Landschaft aufboten, um das aufrührerische Stäfa zur Räson zu bringen, war es Major Wipf, der mit seinen Trülliker und Marthaler Soldaten an einem Sonntagmorgen die Seegemeinde umstellte und die vom Kirchgang zurückkehrenden Bewohner verhaftete. Diese "Tat" trug ihm das Ehrenbürgerrecht der Stadt Zürich ein. In französischen Diensten brachte er es später bis nach Haiti, ehe er, zurückgekehrt in die alte Heimat, Statthalter von Benken und schliesslich Verwalter des Schlosses Laufen am Rheinfall wurde.
Von 1841 bis 1897 lebte Urenkel Heinrich Wipf, Wirt und Infanterie-Major, im Hirschen; er wurde 1889 nach mehrjähriger Tätigkeit als Kantonsrat zum Regierungsrat des Kantons Zürich gewählt und stand der Militärdirektion vor. Heinrich Wipf hat sich vor allem auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung grosse Verdienste erworben und wurde bekannt mit seiner "Bordeaux-Brühe", einem kupferhaltigen Spritzmittel für den Rebbau.
Im unteren Stock führten die Hirschen-Besitzer während fast zwei Jahrhunderten eine Trinkstube, während der obere Stock meist vermietet war. Zu Beginn dieses Jahrhunderts betrieb Dr. L. Forrer, ein Freund von Heinrich Wipf, im oberen Stock eine Arztpraxis. Den linken Parterreteil wies später der Kanton Zürich als neuer Gebäudeeigentümer der Kantonspolizei für den Betrieb eines Polizeipostens zu, ehe im Jahre 1942 die Primarschule das Haus erwarb und ab 1946 dort die Gemeindeverwaltung vorerst provisorisch, ab 1976, nach der Uebernahme der Liegenschaft durch die Politische Gemeinde, definitiv einquartiert wurde.