Kirche
Verfasst von Martin Lee
Ueber die Entstehung der ersten Kirche in Marthalen liegen nur spärliche Hinweise vor. Aus der Rheinauer Klostergeschichte ist bekannt, dass am 16. Mai 1126 - im gleichen Jahr, da die Grafen von Lenzburg mit der Stadtbefestigung in Rheinau begannen - Bischof Ulrich I. von Konstanz die Kirche Marthalen geweiht hat im Namen der Dreifaltigkeit, in der Ehre des heiligen Kreuzes und der Gottesmutter Maria, insbesondere aber zur Ehre der heiligen Gallus und Antoninus, des Märtyrers, und anderer Heiliger, deren Reliquien am Orte aufbewahrt wurden, nämlich Stephanus, Cyriacus, Hippolitus, Silvester, Remaclus, Magnus, Cäcilia und Natalia. Die ausdrückliche Bezeichnung der Neugründung als Kirche und der grosse Aufwand an Heiligen und Reliquien zeigen, dass in Marthalen eine Pfarrkirche geplant war. Sie muss also gegenüber der Bergkirche St. Nikolaus in Rheinau zu irgend einer späteren Zeit ins Filialverhältnis herabgesunken sein, weisen doch spätere Zeugnisse aus den Jahren 1356 und 1506 auf dieses Filialverhältnis hin.
Grosse Veränderungen ergaben sich erst wieder durch die Reformation. Als Ulrich Zwingli am Neujahrstag 1519 in Zürich mit seinen Predigten einsetzte, begann sich die seit langem schwelende Unzufriedenheit mit den kirchlichen Missständen landauf landab Luft zu machen. Die Grafschaft Kyburg, in deren Gebiet sich der grösste Teil der Klostergüter befand, gelangte 1452 an die Stadt Zürich und drei Jahre später begab sich auch das freie Reichsstift Rheinau unter die Obhut der Eidgenossenschaft. Die Marthaler erreichten schon in den ersten Jahren der turbulenten Erneuerung bei der Tagsatzung, dass ihnen der Abt von Rheinau einen Prädikanten zuzuweisen hatte und der Ort zu einer eigenen Pfarrei (1525) erhoben wurde. Fortan musste die Bergkirche Sankt Nikolaus in Rheinau dem reformierten Gottesdienst offenbleiben und der Pfarrer von Marthalen hatte darin für die Leute von Ellikon und die reformierten Haushaltungen von Rheinau an allen hohen Feiertagen Gottesdienste zu halten. Zusätzlich hatte er jeden zweiten Sonntag in Ellikon selbst die Kinder zu unterrichten. Während den Jahren 1529 bis 1555 waren auch die Einwohner von Benken nach Marthalen kirchgenössig.
Die seit 1525 eigene Pfarrei begehrte nun auch ein Gotteshaus, das dem dannzumal üblichen Schema der Zürcher Landeskirche entsprechen sollte. Im Jahre 1606 wurde der alte, enge Chor mit quadratischem Grundriss abgebrochen und an seiner Stelle ein weiterer und höherer Raum geschaffen, durch dessen breite Fensteröffnungen eine Fülle von Licht flutete. Der Neubau des Schiffes begann 1660 und bereits ein Jahr später konnte die Bauabrechnung vorgelegt werden. Das Kloster Rheinau, das nach wie vor für Besoldung und Einsatz des Pfarrers verantwortlich war, leistete an den Neubau des Schiffes einen finanziellen Beitrag, indem es der Gemeinde aufgelaufene Zehntenrestanzen erliess. Allerdings brauchte es den sanften Zwang der Zürcher als Landesherren, damit die Abtei diese "freiwilligen" Zuwendungen aussprach. Mit den beiden grossen Etappen von 1606 (Chor) und 1660 (Schiff) war die Bausubstanz der Kirche mehr oder weniger geschaffen.
Die äussere Erscheinung des Gebäudes veränderte sich 1727 nochmals leicht, indem an der westlichen Giebelwand dem Schiff ein zweiseitiger Treppenaufgang angehängt wurde.
1860/61 renovierte Johann Christoph Bahnmaier, der spätere Schaffhauser Kantonsbaumeister, die Kirche. Es galt, die westliche Giebelwand zu sichern, die vom Gebäude wegzukippen drohte. Im gleichen Zuge wurde der Emporenaufgang sowie die Seitenportale erneuert. Während um die Jahrhundert-wende im Kircheninneren eine Umgestaltung stattfand, brachte die jüngste Renovation von 1975/76 grössere Verän-derungen im Aeussern wie im Innern. Eine besondere Erwäh-nung und Besichtigung verdienen die bei dieser Gelegenheit geschaffenen Gussglasfenster des inzwischen verstorbenen Künstlers Roberto Niederer sowie die vom Engadiner Steivan Liun Könz sandgestrahlten Motive in der Holzdecke.
Durch den völligen Neubau des Dachreiters, dessen Gestaltung vorher die Bevölkerung während Jahren beschäftigt hatte, wurde es zudem möglich, das bestehende Geläute mit einer grossen, klanglich das Fundament bildenden Glocke zu ergänzen. Seit dem Glockenaufzug vom 29. Mai 1976 setzt sich das Geläute aus folgenden zwei sehr alten und fünf neueren Glocken zusammen:
- "Schärbel", 112 Kilogramm, 1464 gegossen
- "Silberglöggli", 85 Kilogramm, um 1500 gegossen
- Glocke in Tonlage e, 1288 Kilogramm, 1933 gegossen
- Glocke in Tonlage fis, 926 Kilogramm, 1933 gegossen
- Glocke in Tonlage a, 527 Kilogramm, 1933 gegossen
- Glocke in Tonlage cis, 258 Kilogramm, 1933 gegossen
- Glocke in Tonlage cis, 2100 Kilogramm, 1976 gegossen
An dieser Stelle wird auf das ausführliche Büchlein zur 850-jährigen Geschichte der Kirche Marthalen, herausgegeben 1977 von der Kirchgemeinde Marthalen, hingewiesen.
Die Entstehung der Kirchgemeinde Rheinau-Ellikon
Nachdem Marthalen im Jahre 1525 zu einer eigenen Pfarrei erhoben wurde, kamen die nachfolgenden Pfarrherren über Generationen ihrer bei der Gründung auferlegten Verpflichtung nach und hielten auch Gottesdienste in der paritätischen Bergkirche St. Nikolaus in Rheinau. Der jeweilige (refor-mierte) Pfarrer von Marthalen wurde bis zum Freikauf der Gemeinde von der Rheinauer Herrschaft im Jahre 1754 von der Rheinauer Abtei besoldet und formell eingesetzt. Nach der Aufhebung der Benediktinerabtei Rheinau im Jahre 1862 und der Eröffnung der ersten Pflegeanstalt in den ehemaligen Klosterräumlichkeiten liessen sich immer mehr reformierte Familien in Rheinau nieder, so dass 1921 ein Vikariat, 1925 ein Pfarrhelfer für Rheinau und Ellikon bestellt und 1937 eine eigene reformierte Pfarrstelle geschaffen wurde. Während fast einem halben Jahrhundert fehlte dieser Stelle die rechtliche Grundlage. Erst durch eine Volksabstimmung wurde auf den 1. Januar 1980 Rheinau-Ellikon von der Filialkirchgemeinde zur selbständigen Kirchgemeinde erhoben und formell von Mar-thalen abgetrennt. Mit dieser Abstimmung bekräftigte die reformierte Bevölkerung von Ellikon am Rhein erneut ihre historisch bedingte Zugehörigkeit zum Rheinauer Gotteshaus.