Riegelbau

Verfasst von Martin Lee

Häuser prägen die Landschaft; sie sind eine vieldeutige Aeusserung des Menschen, fassbarer Anhaltspunkt für die Gesamtheit von vorhandenen Naturstoffen sowie für kulturelle Bewegungen. Die Gestalt des Bauernhauses ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung. Noch bis ins 19. Jahrhundert wurden zum Hausbau fast ausschliesslich Materialien verwendet, die man an Ort und Stelle vorfand. Jahrhundertelang konnten andere Baustoffe nicht über grössere Strecken transportiert werden. Die Auswahl der Baustoffe war aber auch bedingt durch historische, wirtschaftliche und kulturelle Einflüsse. So bevorzugte die herrschende Schicht lange Zeit gerne den wehrhaften Steinbau, während die übrige Bevölkerung vor allem mit Holz baute.

Der Riegelbau ist eine verfeinerte Ständerbauweise mit viel stärkerer Unterteilung der Gefache durch schräge Streben und kurze, waagrechte Riegel. Dazu liess sich auch krummes Laubholz verwenden, wie es in unseren Gegenden überall wächst.

Der zürcherische Riegelbau hat sich eigenwillig und ästhetisch zu Höchstleistungen der Zimmermannskunst entwickelt. Der überwiegende Teil unserer Bauten stammt aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die Zeit ab dem 17. Jahrhundert kann als Landbarock bezeichnet werden, denn Barock und Rokoko hatten bewusst die ornamentierende Gestaltung des Balkengerüstes mit geschweiftem Holz gebracht und zur Neugestaltung von vielen Fassaden geführt. An Häusern wie dem unteren Hirschen, dem alten Wirtshaus oder der oberen Mühle können diese Balkenkonstruktionen eingehend studiert werden.

Der Fachwerk- oder Riegelbau ist in unserer Region bis zum Mittelalter nachweisbar. Auch das älteste Wandmaterial wuchs aus unserer Natur heraus. Die unteren Gefache des Riegelbaues wurden mit eiszeitlichen Bollensteinen ausgefüllt. In vielen Bauernhäusern verwendete man oben Flechtwerk aus Haselruten, das beidseitig mit Moränenlehm verstrichen wurde. In der neueren Zeit, ab ungefähr dem Jahre 1800, drehte man neben dieser sogenannten "Wellenwand" auch Lehm und Stroh zusammen und nannte diese Art "Lehmwickelwand".

Die vom Empire-Stil des 19. Jahrhunderts ausgehende Geschmackswandlung liess viele Fachwerkbalken unter nüchternem Verputz verschwinden. Weitere Gründe wie verbesserter Wärmeschutz oder Schutz gegen eindringendes Wasser bei Regen mit starkem Winddruck förderten diese "moderne" Bautechnik. Zeugen damaligen Denkens sind die vielen angerauhten Balken unserer Riegelbauten.

Das Holz der Riegelbauten wird heute meist rot gestrichen. Früher hatte man Ochsenblutplasma, sogenanntes Blutwasser ohne faulende Blutkörperchen, mit pulverisiertem Kalk und Erdfarben gemischt. Die anorganische rote Ockerfarbe war leicht erschwinglich. Eisenoxyd in Verbindung mit Oelen erhöhte die Wetterfestigkeit. Auch wenn im Volksmund vom "Ochsenblut" gesprochen wird, stammt die rote Farbe vom Eisenoxyd, während das beigemischte Blut höchstens Bindemittelzusatz war. Aus Farbuntersuchungen her ist bekannt, dass es sowohl rote wie graue und grüne Riegelfassaden gab. In der Zeit des Barock war dann die graue Farbgebung besonders beliebt. Das vertraute Rot unserer Riegelbauten kam vor allem im letzten Jahrhundert zum endgültigen Durchbruch, ist aber in der Westschweiz nicht bekannt.

Prägender Teil der Häuser ist bis heute das Dach. Das vorhandene Material entschied früher über die Dachneigung. Im Ackerbaugebiet des Weinlandes war bis ins 18. Jahrhundert Stroh das naturgegebene Bedachungsmaterial, so dass die meisten Dächer mit Dachneigungen von 50 bis 60 Grad erstellt wurden. Zur Verwendung gelangte handgedroschenes Roggenstroh. Die Herstellung von Strohbündeln, Schauben, aber auch das Decken, erforderten viel Sachkenntnis, damit das Halbwalmdach seine Schutzfunktion ausüben konnte. An den Schattenseiten der Häuser bedurften die Strohdächer häufiger Erneuerung, an den Sonnenseiten aber hielten sie 60 bis 80 Jahre.

Die ersten Ziegel waren Hohlziegel und traten schon im Mittelalter, parallel zu den Strohdächern, auf. Später fanden sie für Wandauffüllungen Verwendung und kommen deshalb ab und zu bei grösseren Umbauarbeiten wieder zum Vorschein. Der Biberschwanz-Flachziegel gelangte in unserer Gegend vom 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts zur Anwendung, wurde dann jedoch vom industriellen Falzziegel verdrängt. Auch beim Ziegelbrennen aus eiszeitlichem Lehm fand man den nötigen Rohstoff vor der Haustüre. Dazu kaufte man Kalk. Eine weitere Voraussetzung für die Ziegelherstellung war genügend Holz. Mit der "Ziegelhütte" verfügten unsere Vorfahren über einen leistungsfähigen, dorfeigenen Betrieb, der wesentlichen Anteil an unserer interessanten Dachlandschaft hat.

Ursprünglich besassen die Gebäude nach oben offene Rauchküchen oder, wenn über der Küche eine Decke eingezogen war, endete der Kaminzug im Estrich und wurde nicht über Dach geführt. Bei den Strohdächern hatte dies den Vorteil, dass der Russ in der Abluft das Dach imprägnierte. Zugleich war der Russ der beste Schutz gegen Holzschädlinge (Pilze und Insekten). Noch heute finden wir in zahlreichen Gebäuden einen schwarzen, mehrere Jahrhunderte alten Dachstuhl, der sich bester Gesundheit erfreut.

In den letzten Jahrzehnten erinnerte man sich wieder vermehrt an die Werte dörflicher Kultur. Zahlreiche Eigentümer liessen seither ihre Riegelhäuser fachmännisch renovieren und leisten damit sowohl einen wertvollen Beitrag zum Erhalt ihrer eigenen Liegenschaft wie aber auch zur Verschönerung des ganzen Dorfkerns.